Sami und das Schlossgespenst

Ich habe im Regal mit alten Kinderbüchern gestöbert. Dabei fiel mir ein Buch aus dem Jahr 1975 in die Hand, das ich als Kind sehr geliebt habe. Sicher wurde es mir oft vorgelesen und ich habe es viele, viele Male gelesen. Es ist eine kleine Geschichte von der Autorin Federica de Cesco *) über einen zehnjährigen Jungen, der ein Ferienerlebnis erzählt. Mit dem Pferd seiner Onkels entdeckt er in der französischen Schweiz ein Schloß, lernt ein Mädchen kennen, das dort lebt und darf im Schloß übernachten. Dabei klärt er dann den vermeintlichen Spuk auf, das Hängebauchschwein der Familie stromert nachts durch die Räume. Die Fotos und der Text ergänzen sich schön und für mich stand das Buch immer neben „Mein Esel Benjamin“, das ist ja auch so eine Fotogeschichte. Heute habe ich es also durchgeblättert und hatte dabei noch eine Diskussion im Sinn, die ich neulich über Mädchen und Jungen in der Kinderliteratur geführt hatte. Bei de Cesco hätte ich keine Klischees erwartet (ich weise nochmal auf die Fußnote hin). Hier kommt eine Auswahl der Sätze, die für mich heute schmerzhaft herausstachen:

„Man muss bei Mädchen aufpassen, die sind immer schnell beleidigt.“

„Micki hatte meine Hand genommen. Mädchen mögen das.“

„Mädchen haben komische Einfälle.“

„Nur Mädchen lassen sich solche Märchen aufbinden.“

„Sie klapperte mit den Zähnen, vor Angst oder vor Kälte, vermutlich vor beidem.“

„Bei Mädchen braucht es immer eine Weile, bis sie kapieren.“

Das Büchlein hat nur 40 Seiten und davon besteht über die Hälfte aus Fotos, die Aussagen über Mädchen nehmen also sehr viel Raum ein. Und es gab keine Empörung. Keinen Kommentar beim Vorlesen, dass dieser Sami aber eine verdrehte Meinung von Mädchen hat, nichts. Auch mir ist das als Kind nicht weiter aufgefallen. Das ist ein weiteres Beispiel, wie sehr wir als Frauen von Anfang an gegen die patriarchale Gehirnwäsche anleben müssen. Was für Energie es bindet und vergeudet, diese Urteile zu erkennen, zu überprüfen und zu überwinden.

*) Zitat von der Seite randomhouse über die Autorin: „Sie gilt als meistgelesene zeitgenössische Jugendbuchautorin der deutschen Schweiz. Fremde Kulturen und der Lebensweg starker, außergewöhnlicher Mädchen sind die zentralen Themen in ihrem Werk. Nachdem sie bereits über 50 erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher sowie mehrere Sachbücher verfasst hatte, gelang ihr mit dem Roman „Silbermuschel“ ein fulminantes Debüt in der Erwachsenen-Belletristik.“

„Federica de Cescos Frauenfiguren sind eigenständig, leidenschaftlich und kraftvoll.“

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